Interoperabilität – allgegenwärtiger Zungenbrecher, wenn man sich über Digitalisierung im Gesundheitswesen unterhält. Aber was bedeutet dieser Begriff überhaupt?
Interoperabilität bedeutet Austauschbarkeit von Daten. Das heißt: Datenströme können über ein System hinweg ohne Informationsverlust weitergeleitet werden. Was also im Endeffekt ein Datennetzwerk erst ermöglichen wird, ohne sogenannte Datenbrüche zwischen einem System.
Die digitalisierte Welt war lange Jahre so aufgebaut, dass man ein System unzugänglich machen wollte: Schnittstellen sollten nur mit den eigenen Systemen funktionieren. Dies machte es Dienstleistern einfacher, vorrangig ihre Geräte und Software zu verkaufen, da eine Integration anderer Anbieter undenkbar war – da es entweder schlichtweg nicht möglich war oder so unwirtschaftlich, dass kein Kunde diesen Weg gehen wollte. So sah und sieht es mancherorts auch heute noch in der digitalen Landschaft in Krankenhäusern aus. In großen Kliniken gibt es bis zu 300 Softwaresysteme (nahezu jede Fachabteilung benutzt ein Spezialsystem). Doch selten sind diese vollständig an das Krankenhausinformationssystem (KIS) bzw. klinische Arbeitsplatzsystem (KAS) angebunden. Dadurch müssen Daten oft manuell von einem in das andere System übertragen werden. Die Folge: Es entstehen Medienbrüche, die im besten Fall nur Datenmüll bedeuten. Im schlechtesten Fall kann dadurch die Patientensicherheit gefährdet sein – etwa beim fehlerhaften Übertragen einer Medikamentendosis.
In unserem privaten Umfeld sind solche Gegebenheiten unvorstellbar: Wir alle sind bereits seit Jahren gewohnt, Daten zwischen Systemen ohne Aufwand und ohne Datenverlust zu übertragen. Dokumente können digital signiert und versendet werden. Dateien lassen sich ohne Informationsverlust von einem Format in das andere konvertieren. Selbst die gelaufene Strecke sowie der Puls beim Joggen werden von der Smartwatch direkt in die Cloud synchronisiert.
Kurzum: Den Systemen im Gesundheitswesen fehlt die erforderliche Interoperabilität.
Das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) setzt nun aber das Ziel, dass die Digitalisierung durch die einzelnen Fördertatbestände auf allen Ebenen mehr Interoperabilität ermöglicht. Das heißt: Das eigentliche Ziel lautet Interoperabilität, nicht Digitalisierung.
Es gibt mehrere Interoperabilitätsarten
Strukturelle Interoperabilität
KIS-Systeme und angebundene Geräte sollen Schnittstellen haben, die einen Datenaustausch überhaupt erst ermöglichen. Das beinhaltet standardisierte Schnittstellen, um Geräte zu verbinden, wie z.B. USB. Viel wichtiger sind hier jedoch Datenprotokolle, in denen festgelegt ist, wie Computer miteinander Daten austauschen, wie z.B. das im Internetprotokoll HTTP.
Schnittstellen an Altsoftware nachzurüsten ist oftmals sehr aufwendig und unwirtschaftlich. Deshalb wird es wohl vielerorts zu Neuerung der Systeme kommen müssen, um Datenbrüche zu beheben.
Syntaktische Interoperabilität
Nehmen wir an, dass strukturelle Interoperabilität vorliegt, d.h. ein Gerät kann die entsprechenden Datenprotokolle senden und das andere System kann diese empfangen. Um die nächste Stufe – die syntaktische Interoperabilität – zu erreichen, müssen beide Systeme dieselbe „Sprache“ sprechen. Wie bei einer Unterhaltung zwischen Pedro aus Italien und Getrud aus Hintertupfingen kommen die gesprochenen Worte zwar an, werden jedoch nicht von Gertrud verstanden. Die Geräte bzw. Systeme können durch gleiche Datenprotokolle also Daten austauschen, sie aber nicht verstehen oder interpretieren.
Um Schnittstellen erfolgreich nutzen zu können, muss eine gemeinsame, standardisierte Sprache zum Einsatz kommen, die beide Geräte verstehen. In der Medizin sind solche Standards beispielsweise HL7 oder FHIR. Dadurch können bestimmte Informationseinheiten aus Datenströmen erkannt werden.
Beispiel: Wenn die Informationen im Datenprotokoll gesendet werden ist das eine Abfolge von 0en und 1en. Diese müssen vom System in Informationseinheiten umwandelbar sein, sodass am Ende bestimmte Worte, Daten und Zahlen gelesen werden. Hier muss eine vereinheitlichte Umwandlung geschehen, damit jedes System dasselbe „versteht“ und die Informationen nicht verfälscht werden.
Semantische Interoperabilität
Bei vorliegender semantischen Interoperabilität müssen die nun erkannten Informationseinheiten über das Verstehen hinaus auch richtig interpretiert werden können.
Dafür gibt es in der Medizin Standards wie ICD, LOINC oder SNOMED-CT. An dieser Stelle verweisen wir für den Deep-Dive gerne auf die Folge 87 unserer Freunde vom hörenswerten eHealth-Podcast. Weitere Standards für Wertetabellen sind HL7 und DICOM. Deutschland arbeitet aktuell an bestimmten Profilen für die Interpretation von medizinischen Daten, um einen standardisierten Datenfluss zu ermöglichen. Diese Profile sollen alle Ebenen der Interoperabilität abdecken.
Beispiel: Wenn ein Wert mit einem Code gesendet wird, soll dieser eindeutig zugeordnet werden können. Wenn der Blutzuckerwert gesendet wird, wird auch dieser vom Empfängersystem als solches (inkl. der im Standard definierten Einheit) empfangen und interpretiert und nicht einem anderen Blutparameter zugeordnet. Hier muss präzise Eindeutigkeit herrschen.
Organisatorische Interoperabilität
Wenn Informationen zwischen mehreren Systemen übertragen werden, muss festgelegt sein, welche Rollen im Gesundheitswesen (wie z.B. Ärzte oder pflegerisches Personal) welche Berechtigung haben, um bestimmte Daten einsehen zu dürfen. Dafür müssen bestimmte Rollen und die Patientenberechtigung in den Systemen festgelegt sein, damit die Datensicherheit gewährleistet ist. Hier geht es also vorrangig um das systemübergreifende Prozessmanagement, damit standardisierte Arbeitsabläufe zur effizienten Nutzung der erhobenen Daten führen kann.
Beispiel: Ein Krankenhaus nutzt abteilungsübergreifend ein KIS, in dem vielerlei Daten zu Patienten gespeichert sind. Nicht jede Personengruppe darf jedoch z.B. medizinische Befunde oder Laborwerte einsehen. Diese müssen unter anderem auf Grundlage der Orientierungshilfe KIS (OH-KIS) vor unberechtigten Zugriff geschützt werden. Der Zugriff muss also auf spezifische Rollen beschränkt werden, um die Datensicherheit zu gewährleisten. Im alltäglichen Leben werden die wenigsten damit einverstanden sein, dass der Briefträger ihre Post öffnet und über den Inhalt Kenntnis erlangt. Auch hier gibt es klare Regeln, denn der Briefträger ist lediglich Überbringer der Nachricht und darf somit maximal den Umfang der Sendung und die Empfänger- und Absenderadresse kennen. Zu wissen, was im Brief selbst steht, gehört nicht zur Berechtigung seiner Rolle.
Fazit
Es bleibt weiterhin eine spannende Herausforderung, die deutsche Krankenhauslandschaft und ihre Daten strukturiert abzubilden. Von der gematik, HL7 Deutschland und vesta arbeiten viele Verbände und Institutionen an deutschen Profilen mit Spezifikationen für medizinische Daten, welche Interoperabilität auf allen Ebenen sicherstellen sollen und den Gesundheitsmarkt dabei umfassend und standardisiert abbilden soll. Beispielsweise hat die gematik das Datenmodell EPA veröffentlicht, welches Entwicklern dabei helfen soll, Daten für die elektronische Patientenakte einheitlich und standardisiert nach diesem Leitfaden zu strukturieren und die vorgegebenen semantischen und syntaktischen Standards in Systemen zu integrieren. Auch der Umgang und die Integration mobiler Geräte wie Smartphones, Tablets oder wearables wird spezifiziert.
Diese Vorgaben sollen die Digitalisierungsstrategien im deutschen Gesundheitswesen standardisieren, um Interoperabilität in Zukunft zu gewährleisten.
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